Was ist ein Befangenheitsantrag?
Den gesetzlichen Richter kann sich niemand aussuchen (Art. 101 GG). Mit dem Richter, den der Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Gerichts für einen vorsieht, muss man also grundsätzlich vorliebnehmen.
In manchen Fällen sind Richter aber von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Das ist z.B. in Verfahren der Fall, die nahe Verwandte oder Ehepartner betreffen, § 41 ZPO. Dann hat sich der Richter selbst abzulehnen, § 48 ZPO. Unterlässt er dies und erfährt eine Partei des Rechtsstreits hiervon, kann auch sie (natürlich) den Ablehnungsantrag stellen, § 42 Abs. 1 Var. 1 ZPO.
Richter können zudem auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, § 42 Abs. 1 Var. 2. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (vgl. § 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist meist mit einem Befangenheitsantrag gemeint. Er hat also nichts mit einer etwaigen verwandtschaftlichen Beziehung des Richters mit einer Partei zu tun (ein ohnehin eher seltener Fall), sondern mit der Besorgnis, der Richter sei (aus anderen Gründen) in der Sache nicht neutral eingestellt.
Warum haben Befangenheitsanträge in der Regel keinen Erfolg?
Auf ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters gestützte Befangenheitsanträge in aller Regel keinen Erfolg. Die am 09.01.2019 erlassenen Beschlüsse des OLG Stuttgart zu den Befangenheitsanträgen der Volkswagen AG haben diese Regel bestätigt, ohne dass damit an dieser Stelle eine Aussage über die Richtigkeit der Entscheidungen getroffen werden soll.
Befangenheitsanträge haben nicht unbedingt nur deshalb meistens keinen Erfolg, weil das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters nicht hinreichend glaubhaft gemacht werden kann. Auch gut begründete Befangenheitsanträge, die schließlich nur die Besorgnis einer Befangenheit begründen und die Befangenheit nicht nachweisen müssen, scheitern in der Regel. Der Fehler liegt nämlich im System. Denn es entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört (!), § 45 Abs. 1 ZPO. Auch wenn der abgelehnte Richter bei dieser Entscheidung nicht mitwirken darf, wird überaus deutlich, dass es kein gutes Gesetz sein kann, dass die Richter desselben Gerichts, ja sogar desselben Spruchkörpers grundsätzlich über einen Befangenheitsantrag gegen einen Kollegen zu entscheiden haben, mit dem sie zusammen auf der Richterbank und in der Gerichtskantine sitzen.
Ein Befangenheitsantrag wird zudem wohl selten sportlich genommen, sondern eher als Ohrfeige für den abgelehnten Richter aufgefasst und die wenigsten Kollegen lässt es kalt, wenn ein Kollege angegriffen wird. Dass Richter desselben Gerichts daher neutral über einen Befangenheitsantrag entscheiden können und sich nicht schützend vor den Kollegen stellen werden – der im Übrigen ja auch einmal umgekehrt über einen gegen sie selbst gerichteten Befangenheitsantrag entscheiden könnte – ist schlichtweg etwas unwahrscheinlich. Das ist zwar menschlich nachvollziehbar, ändert aber nichts daran, dass es kaum Aussicht auf Erfolg hat, dass ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit von einem Fall abgezogen wird. Nur in wirklich krassen Fällen wird man sich daher Chance ausrechnen können, dass ein Ablehnungsgesuch sein Ziel erreicht. Auch dann wird man aber damit rechnen müssen, gegen den Beschluss des Gerichts, der das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt, mit der sofortigen Beschwerde vorgehen zu müssen, wie es jüngst auch VW musste. Dann besteht die Aussicht darauf, dass das nächsthöhere Gericht über den Ablehnungsantrag entscheidet. Die dortigen Richter begegnen dem betroffenen Richter zwar nicht auf den Gerichtsfluren und sind daher weniger „befangen“, einen Kollegen für befangen zu erklären. Jedoch werden Befangenheitsanträge auch dort in der Kategorie „mit hoher Wahrscheinlichkeit querulatorisch“ geführt und werden (als zusätzliche Arbeit) nicht vorbehaltlos begrüßt.
Wenn überhaupt, kann man sich mit einem Befangenheitsantrag in der ersten Instanz ausrechnen, weil die sofortige Beschwerde als Rechtsmittel gegen eine abschlägige Entscheidung zur Verfügung steht (§ 46 ZPO), die sich nur gegen eine Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts richten kann, § 567 BGB; übrig bleibt in der Berufungsinstanz daher nur die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO zum Bundesgerichtshof (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss v. 10.06.2015 – 8 W 682/15). Der Befangenheitsantrag in der Berufungsinstanz verkommt damit gänzlich zum Papiertiger (was vor dem Hintergrund der Möglichkeit, die Berufung wegen fehlender Erfolgsaussichten ohne mündliche Verhandlung zurückweisen zu können, zu wirklich kruden richterlichen Leistungen von Berufungsgerichten führen kann, vgl. § 522 Abs. 2 ZPO).
Streitbeilegung ohne Glückspiel – Mediation
Es soll hier nicht vertreten werden, dass Richtern mit Misstrauen begegnet werden sollte und dies natürlich schon gar nicht pauschal. Es gibt viele hervorragende Richter, die einen zu beurteilenden Fall nicht nur juristisch vertretbar prüfen, sondern auch menschlich durchdringen, um die Findung eines sachgerechten Vergleichs oder aber des richtigen Urteilsspruchs zu ermöglichen. Das Problem ist aber: Woher weiß man, an was für einen Richter man geraten wird, wenn man es auf einen gerichtlich ausgetragenen Rechtsstreit ankommen lässt? Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit fragt es sich zudem, warum man es überhaupt dem gesetzlichen Richter, den man sich nicht aussuchen kann und der die große unbekannte Variable ist, überlassen sollte, Konflikte aus der Welt zu räumen, wenn man das auch selbst tun kann. Das Mittel dafür gibt es in Form des Mediationsverfahrens. Mit Hilfe dieses strukturierten Verfahrens können Konflikte ohne Abgabe von Entscheidungskompetenzen gelöst werden. Der Mediator ist nicht nur kein Richter und hat daher keine Entscheidungskompetenz. Er ist außerdem – wenn man Zweifel an seiner Neutralität hat – im wahrsten Sinne des Wortes auswechselbar ohne dass man einen Befangenheitsantrag hierfür bräuchte. Natürlich eignet sich das Mediationsverfahren aber auch nicht für alle Fälle und vorliegend wohl auch nicht in den Verfahren, die VW und andere Automobilhersteller derzeit beschäftigen. Wenn die Gefahr von Präzedenzfällen allerdings nicht gegeben und keine Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren anhängig ist, ist das Mediationsverfahren allerdings in aller Regel eine Überlegung wert. Das Gerichtsverfahren sollte hingegen die ultima ratio sein, denn um vor Gericht „Recht zu bekommen“, gehört immer auch etwas Glück dazu.